Lieben und ver-lieben

Wir ver-lieben uns. Und wir sprechen von Liebe. Wer von uns allen hat sich über das Verlieben und die Liebe schon gründliche Gedanken gemacht?
„To be in love“ und „to fall in love“, das wird in der englischen Sprache getrennt – aus guten Gründen.
Trennen wir auch hier „die Liebe“ von dem, was wir „sich ver-lieben“ nennen. In Liebe sein ist, nach englisch-sprachigem Verständnis, etwas anderes als „in Liebe fallen“, vermeintlichen „Liebe“ verfallen.
Im antiken Griechenland wurde zwischen Agape, der Hingabe, Caritas, der Nächstenliebe, sowie Eros, der Leidenschaft, differenziert.
In Liebesangelegenheiten ganz genau zu unterscheiden hilft uns sehr.
Gehen wir noch etwas weiter im Nachdenken: Was sind denn die Bedingungen, unter denen Gefühle des Verliebtseins entstehen oder Liebe besteht?

Liebe(n) ohne zu Wissen?

Nehmen wir beispielsweise eine Orchideen-Liebhaberin. Was erwarten wir von einer Dame mit dem Steckenpferd „Orchideen“? Setzen wir nicht einfach voraus, dass eine Orchideen-Liebhaberin alles über Orchideen weiss? Sollte die Liebhaberin nicht wissen, welches Wasser eine Orchideen-Pflanze benötigt: Welche Wasserhärte, welchen pH-Wert, welche Temperatur und so weiter? Sollte sie nicht wissen, wie viel Sonnenlicht, Wärme, Luftfeuchtigkeit, welchen Boden, welche Nährstoffe, welche Düngung, welche Nachbarpflanzen die Orchidee zum Gedeihen benötigt? Denken wir nicht, dass eine Orchideen-Liebhaberin auch weiß, was der Orchidee schadet, was sie bedroht, welche Krankheiten sie bekommen kann? Selbstverständlich setzen wir voraus, dass sie sich bestens informiert hat, vieles, sehr vieles, weiß und sich ständig mit ihren Orchideen beschäftigt und sich liebevoll um ihre Lieblings-Pflanze kümmert.

Liebe(n) ohne Verständnis?

Wenn wir uns nun auch noch einen Hunde-Liebhaber vorstellen: Was erwarten wir von einem solchen Menschen? Sollte nicht auch ein Hunde-Fan alles über seinen Hund sowie das Verhalten von Hunden im Allgemeinen wissen? Sollte er die speziellen Charakter-Eigenschaften und Bedürfnisse seines Hundes kennen? Und den Bedarf von Futter, der Futterart, die Impfungen, die Fellpflege, den Auslauf, die soziale Anbindung und so weiter. Die Tierschützer stünden parat, wenn ein Hund gequält oder falsch behandelt würde. Wir erwarten von einem Hundehalter eine artgerechte Haltung. Und von einem Hunde-Liebhaber erwarten wir sogar Verzicht aus Liebe zum Tier, wenn er einen Hund nicht einem Hund gemäß halten kann. Sein Wunsch soll sein, dass es dem Tier gut geht, sonst ist er kein Tier-Liebhaber, sondern ein Tierquäler. Das Tier ist zu lieben, auf das Tier ist Rücksicht zu nehmen, nicht auf den Tierhalter – so lauten die Regeln, gerade im zivilen Bereich.

Was setzt Liebe voraus?

Wir sehen also, dass Liebe Interesse, Wissen und Verständnis zur Bedingung hat, dass es Voraussetzungen gibt. Das Interesse am Wohlergehen des geliebten Wesens muss ein Bestandteil der Liebe sein. Beispielsweise wollen gute Eltern, dass es ihren Kindern wohl ergeht, dass sich die Kinder gesund entwickeln, nach ihren jeweilige Anlagen. Die Kinder sollen glücklich leben können. Den oder dem geliebten Menschen das geben zu wollen, das zu geben, was dieser Mensch braucht, um glücklich zu sein, das ist Liebe. Und wenn wir einem Kind oder einem anderen Menschen das nicht geben können, oder nicht geben wollen, was nötig ist, dann sollten wir verzichten und in keinem Fall von Liebe sprechen. Liebe ist bereits unmöglich, wenn wir nicht einmal die offensichtlichen Bedürfnisse eines Menschen kennen.

Was setzt Liebe voraus?

Sich ver-lieben ist schon dem wörtlichen Begriff nach keine Liebe. Wir ver-lieben uns, weil wir etwas wollen, ein Verlangen haben. Als Menschen haben wir menschliche Bedürfnisse, die wir gemäß natürlichem Wunsch befriedigen: Die Natur möchte die einzelnen Arten erhalten, jedenfalls solange die jeweilige Species im Ganzen sinnvoll ist. Die Form der Erhaltung der Menschheit ist die sexuelle Fortpflanzung. Der Sexualtrieb ist der Reiz zur Fortpflanzung. Die Entspannung, der Orgasmus, ist die Belohnung für den einzelnen Menschen für die Triebbefriedigung. Zur Selbsterhaltung gibt es ebenso Triebmittel, diese sind Hunger und Durst, deren Stillung somit ebenfalls Voraussetzung zur Arterhaltung sind. Doch deshalb ver-liebt sich kaum jemand in ein Getränk oder etwas Essbares, wir befriedigen Triebe. Und so lieben wir auch keinen anderen Menschen, nur weil wir den Sexualtrieb befriedigen. Vielmehr ver-lieben wir uns tatsächlich im Sinne der Vorsilbe „ver“: Es handelt sich nicht um Liebe, vielmehr um das Gegenteil. Der „Wunsch“ nach Befriedigung eines Bedürfnisses ist der Antrieb zu entsprechendem Verhalten – der eigentlich Zweck ist nicht das dem geliebten Menschen etwas Geben zu wollen, wie in der Liebe, sondern das Haben-Wollen der Triebbefriedigung, wobei der andere Mensch als Mittel zum Zweck gebraucht wird.
Wahre Liebe ist jedoch bedingungsloses Geben, nicht die Befriedigung von Bedürfnissen.

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